- Startseite
- Kassel
Stand:
Von: Daria Neu
Kommentare
Das vom Bundesministerium geplante „Gesundes-Herz-Gesetz“ (GHG) sorgt für Lob und Kritik. Hausärzte und Kardiologen in Kassel sind sich uneinig.
Kassel – Ein Gesetzentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit erhitzt die Gemüter innerhalb der Ärzteschaft. Es handelt sich um das „Gesundes-Herz-Gesetz“ (GHG), mit dem auf Deutschlands häufigste Todesursache reagiert werden soll. Laut Studien umfassten Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Jahr 2021 hierzulande ein Drittel aller Todesfälle. Doch während der Entwurf aus kardiologischer Sicht begrüßt wird, äußern Hausärzte aus der Region entschieden Kritik.
Das geplante Gesundes-Herz-Gesetz (GHG)
Das Gesundheitsministerium gibt als Ziel des Gesetzentwurfs an, „durch ein Bündel an Maßnahmen die Früherkennung und die Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verbessern und so die Herz-Kreislauf-Gesundheit in der Bevölkerung zu stärken“. Dass die Lebenserwartung in Deutschland mit 80,8 Jahren nur knapp über dem EU-Durchschnitt (80,1 Jahre) liegt, obwohl für Gesundheit so viel Geld ausgegeben werde, sei auf die kardiovaskuläre Sterblichkeit zurückzuführen. Kardiovaskulär heißt: das Herz und das Gefäßsystem betreffend.
Statine – das wiederum sind cholesterinsenkende Medikamente – hätten in vielen großen Studien bewiesen, dass sie das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduzieren und die Lebenserwartung verlängern. Der Gesetzesentwurf enthält viele Details. Zusammenfassend sieht er vor, dass sich Kinder, Jugendliche und Erwachsene künftig regelmäßig Herzuntersuchungen unterziehen sollen, um Fettstoffwechselstörungen zu erkennen und vorzubeugen. Das beeinflusst vor allem die Arbeit der Hausärzte.
Hausärzte in Kassel kritisieren Gesundes-Herz-Gesetz
Diese kritisieren das Vorgehen aus mehreren Gründen scharf. Zu den Kritikern gehört Dr. Uwe Popert, Allgemeinmediziner in Kassel und stellvertretender Sprecher des Hausärzteverbands: „Der Entwurf enthält so viele formale und inhaltliche Fehler, dass er offensichtlich von Menschen ohne viel Kenntnis der realen Bedingungen der Primärprävention verfasst wurde.“ Fachkräfte würden verbrannt, um einen Großteil der Patienten aufzuklären, ob sie Statine nehmen müssten oder nicht. Dabei sei fraglich, ob der gewünschte Effekt, nämlich die Senkung der kardiovaskulären Sterblichkeit, überhaupt eintrete.
Keine relevanten Nachrichten aus der Region verpassen!
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Kassel-Newsletter und erhalten Sie immer mittwochs und samstags am frühen Morgen die wichtigsten Nachrichten kompakt zusammengefasst in Ihr Mail-Postfach. Hier geht’s direkt zumAbo des Newsletters.
Popert befürchtet, dass man das ganze ambulante Gesundheitswesen auf diesem Weg umwälzt. Wie das finanziell und organisatorisch leistbar sein soll, wisse er nicht. Ohnehin ist der Hausarzt der Meinung, dass man auf Verhaltensprävention setzen solle, bevor medikamentöse Vorbeugung in Betracht gezogen werde.
Hinzu komme, dass sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mit dem Entwurf zum wiederholten Mal am Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) vorbeigemogelt habe. Das Gremium müsse Maßnahmen wie diese zwingend auf Qualität und Wirtschaftlichkeit prüfen, bevor Gesetzentwürfe auf den Weg gebracht werden. Der Kritik schließt sich Dr. Christoph Claus, Sprecher der Hausärzte im Kreis Kassel, an: „Wir haben keine Zeit, uns mit Dingen auseinanderzusetzen, für die es keine wissenschaftliche Grundlage gibt.“
Studien mit wissenschaftlicher Beweiskraft würden belegen, dass ausreichend Bewegung, gesunde Ernährung und vor allem der Verzicht aufs Rauchen einen signifikanten Einfluss auf die Cholesterinwerte und damit auch auf die Herzgesundheit hätten. Claus sehe schon, dass der Entwurf nun verängstigte Patienten in die Praxen treibe.
Wer wirklich Statine brauche, sei eine sehr individuelle Entscheidung. Grundsätzlich sollten sich Menschen untersuchen lassen, deren Verwandte ersten Grades erkrankt sind oder waren. Außerdem sollte man die Werte kontrollieren lassen, wenn man bereits andere Erkrankungen hat, die im Zusammenhang stehen könnten. Darüber hinaus könne man ab 35 Jahren ohnehin alle drei Jahre einen Gesundheits-Check machen lassen. Dass der G-BA in diesem Fall komplett übergangen worden sei, wertet Claus als klaren Verstoß gegen das Sozialgesetzbuch. „Diese Entscheidung liegt nicht in Lauterbachs Kompetenzbereich.“
Die Befürworter des geplanten Herz-Gesetzes
Ganz anders bewertet man den Gesetzentwurf unter den Kardiologen. Dr. Rainer Grad-aus, Chefarzt der Klinik für Herz- und Kreislauferkrankungen am Klinikum Kassel, hält ihn „für einen Schritt in die absolut richtige Richtung“. Um Tumoren vorzubeugen, mache man regelmäßige Screenings. Beim Herzen sollte es sich nicht anders verhalten. Erhöhte Cholesterinwerte seien der Killer der Industrienationen. Es gebe evidente Studienergebnisse über Deutschland hinaus, die den positiven Effekt der Gabe von Statinen bestätigen. „Wenn bestimmte Erkrankungen genetisch determiniert sind, kann man so viel Sport machen und sich so gesund ernähren, wie man will“, sagt Gradaus. Cholesterinsenker seien in diesem Fall das Mittel der Wahl. „Wieso erst abwarten, bis es zu spät ist?“, fragt er.
Das sind Statine
Statine sind Cholesterinsenker. Sie werden verschrieben, um LDL-Cholesterinwerte, die auch als böses Cholesterin bezeichnet werden, zu normalisieren. Sind sie zu hoch, kann es zum Beispiel zu Herzinfarkten oder Schlaganfällen kommen. Wirkstoffe aus der Gruppe der Statine – dazu gehören Atorvastatin, Rosuvastatin und Simvastatin – hemmen ein Enzym, das im Körper für die Cholesterinbiosynthese zuständig ist. Als Nebenwirkungen von Statinen können beispielsweise Muskelschmerzen auftreten.
Immer häufiger stecken sich derzeit Menschen in Kassel mit dem Coronavirus an. Ein Grund sind womöglich Großveranstaltungen wie Public Viewing zur EM.